22. April 2024

Aus meinem Hang zu Kitsch und Schlager


Sind es Selfies, aus dem Lyrikgelände mitgenommene? Halten sie zusammen das, was der Text selber ein Langgedicht heißt, an einem Schnittort zusammengebracht? Oder ist es ein Entlanggedicht auf dem Weg dahin? Offen, das ist das Wesentliche daran. Zwar wird viel behauptet in Frieda Paris’ lyrischem Debüt NACHWASSER in der Edition Azur, aber ohne Vehemenz. Es ist ein Selbstvergewissern, vielleicht ein Sammelruf. Denn was überhaupt ist ein Werk? Wer behauptet sich damit oder dieses darin? Mit einer Schar von „Wortmüttern“, die größte: Friederike Mayröcker, begibt sich Paris auf einen verschriftlichten Trip, der parallel zu dem, was als Postulat entstehen soll, als Leseereignis stattfindet. Er macht das Sich-auf-Reisen, ein Selber zu seinem Ur-Thema, einen offenen Koffer. Hinein gehen die Notate, wie eben datierte Polaroids, zu einer Abfolge von Spiegelbildern – bisweilen unterbrochen von aktuellen Interventionen. Die Erinnerung trifft Wünsche, Genoss*innen, Pat*innen, dichtet, dichtet nicht, fragt, lässt es lieber in der Schwebe, geht voran, weicht aus, versucht ein Eigenes zu bilden – inmitten einer Ideenlandschaft.

„Langgedicht?
Making-of a Poem?
Rückseiten?”
[...]
VF2 ti amo
    Mit welchem Stift?
ich weiß es nicht mehr, STABILO?”


Dabei bleibt in der Rhetorik, was den Auswahlmoment „am SCHNEIDETISCH“ beeinflusst. Warum dieser Text (im Text), warum nicht ein anderer in welchem Moment? Wie dringlich ist dieses Schreiben, worauf fokussiert es, gibt es ein Skript für das Geschriebene? Spuren Erlittenes schreiben sich ein: „aber wenn Freunde des Bruders uns ungefragt / tunkten oder so ins Wasser schmissen, dass die / Haut noch irgendwo aufschürfte am Beckenrand“. Teilweise treten harte Schnitte auf den Plan, vom Familienurlaub zur Kuchengabel knapp an der Pupille vorbei, kippt der Lauf. „habe ich schon geschrieben, dass ich dem Schreiben / wie dem Lieben stets hinterhergerannt bin?“ Immer von Neuem gearbeitet (als Angebot) wird mit Gedichtespuren im Gedicht:

„Salamander auf Laub,
er geht, unbeirrt, lautlos
(durch Geräusch von
Regen auf Laub)“

die anders rhythmisieren, eben als Collage wirken, andere Perspektive hineinwerfen, nur um von dem nächsten nummerierten Pfad, der Rückseite, abgelöst, nicht direkt hier weiterverfolgt zu werden. NACHWASSER ist bei aller komplexen Setzung eventuell weniger experimentell denn konsequent synchron als Schau angelegt, vielleicht von einem Stand. Für wen ist es geschrieben? Wenn der Text seine eigenen Leser*innen ist, dann bildet er womöglich eine Endlosschleife. Er schaut sich selbst beim Schreiben zu & macht dies zu seiner eigenen Frage, zwischen Persönlichem, Literarischpersönlichem, Literarischem (Rückschauen & -seiten). Das ist mutig. Der Wandel auf den Spuren von „Wortmüttern“, die erlauben. Paris’ Memoir-Album ist mit großer Textmenge ein langes Debüt geworden, mit abwechslungsreich arrangierten Knoten. Es möchte die Lesart miteinschreiben, „mich ockerte“.

Jonis Hartmann

 

Frieda Paris: NACHWASSER, Voland & Quist 2024